ANGSTHUND

Frau Hamp von der Organisation „Tierhilfe verbindet“ hat als Pflegestelle gerade für ängstliche Hunde ein Infoblatt erarbeitet, welches sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. www.tierhilfe-verbindet.de

Die Adoption eines ängstlichen Hundes

Die Ursachen und das Verhalten von extrem ängstlichen Hunden – häufig genannt Angsthunde – sind sehr, sehr unterschiedlich. Wenn Sie nun ein Patentrezept erwarten, wie Sie Ihrem Hund aus diesem Gefühl helfen können, müssen wir Sie enttäuschen. Denn ein Patentrezept können wir nicht geben, dieses gibt es auch nicht. Denn die Ursachen für Ängste sind sehr vielfältig, sie heraus zu finden oftmals sogar sehr schwierig bis unmöglich. Die individuelle Hilfe, das individuelle Therapieprogramm hängt nicht nur vom jeweiligen Hund, sondern auch von Ihnen ab. Zur Bearbeitung der Angst brauchen Hundehalter und Hund individuelle Konzepte, die speziell auf dieses Team eingehen. Dies kann kein Informationsblatt leisten, Sie sollten sich deshalb immer auch professionelle Hilfe nach Hause holen. Wir beziehen uns im Folgenden auf Hunde, die im Umgang mit Menschen sehr unsicher bis geradezu so ängstlich sind, dass sie sich in (fremder) zweibeiniger Gesellschaft am Liebsten in Luft auflösen würden. Ihr Schwanz ist unter den Körper gezogen, der Körper geduckt, so mancher Vierbeiner wagt dann gar nicht aufrecht zu stehen, urinieren vielleicht sogar vor Angst und zeigen Beschwichtigungssignale (blinzeln, weggucken, über die Lefzen lecken,…). Als Pflegestelle durfte ich viele dieser Hunde auf ihrem Weg ins Vertrauen begleiten. Neben belegten Seminaren, Literatur und besuchten Workshops habe ich am meisten direkt von meinen Schützlingen gelernt und möchte ihnen dieses Informationsblatt daher gerne widmen. Mögen die Dinge, die sie mich lehrten, vielen anderen Hunden den Weg ein klein wenig erleichtern! Gerne möchte ich Ihnen die Grundpfeiler meiner Arbeit mit diesen Hunden vorstellen. Bitte bedenken Sie, kein Hund ist gleich, kein Hundehalter ist gleich. Ich kann Ihnen nur eine Basis zeigen, alles Weitere muss individuell und professionell auf Ihr Mensch-Hund-Team angepasst werden!

Ich gebe dir die Orientierung die du brauchst

Wenn in einem Team alle unsicher sind, kann dies gefährlich werden. Irgendwer sollte einen Plan haben und als verantwortungsvoller Hundehalter sind das immer Sie! Sie müssen Verantwortung für Ihren Vierbeiner übernehmen. Er muss sich auf Sie und darauf verlasen können, dass Sie wissen, was wann und wie zu tun ist. Denn er wird spüren, wie es Ihnen geht und sich nur auf Sie  verlassen, wenn er merkt, Sie sind wirklich da und werden ihn schützen, wenn er Schutz braucht, ihn motivieren, wenn es gilt eine Hürde zu schaffen und sich freuen, wenn die Hürde bezwungen ist. Das bedeutet auch, dass Regeln wichtig sind, denn diese geben Sicherheit. Einen Hund in der Angst zu bedauern, nützt niemandem etwas, im Gegenteil, Sie geben Ihrem Hund dabei das Gefühl, dass er zu Recht Angst hat. Zeigen Sie Ihrem Hund Regeln und trainieren Sie mit ihm, denn dies ist die Basis, die Sie miteinander brauchen, wenn es mal brenzlig wird.

Podenca Meggie…eine besondere Hündin, die mir unendlich viel über mich selbst lernte. Sie war sehr ängstlich als sie als Pflegehündin zu uns kam. Niemand konnte sie anfassen, es dauerte Wochen bis sie so vertraute, dass sie Körperkontakt zuließ.
Trotzdem trainierte ich mit ihr schon kurze Zeit nach Ankunft die Grundkommandos SITZ und BLEIB. Wie aus einem inneren Gefühl heraus, das ich dies bald dringend brauchen würde. Es war das erste Mal, dass ich mit einem Angsthund bereits in diesem Stadium die Grundkommandos trainierte Auch wenn sie noch kaum Körperkontakt zuließ, beherrschte sie diese Signale schon bald. Eines Abends passierte es…. Meggie war aus dem Haus entwischt und rannte davon. Ich versuchte ruhig zu bleiben und folgte ihr. Als sie mich wahr nahm, wechselte ich die Richtung, rief sie kurz und bewegte mich zurück in Richtung Haus. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie mir folgte. Dann ein Geräusch im Gebüsch, sie drehte ab und rannte panisch davon. Leider Richtung Feld. Es war so dunkel, dass ich sie aus den Augen verlor. Irgendwann sah ich ein Tier im Feld, ob es ein Kaninchen, eine Katze oder Meggie war, konnte ich nicht sagen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, versuchte ruhig zu werden, machte das Handzeichen und rief „Bleib“! Ich konnte es kaum glauben, das Tier, das sich sicher 50 Meter entfernt im Feld befand, setze sich und blieb. Langsam bewegte ich mich auf sie zu und versuchte ihr innerlich Sicherheit zu vermitteln und das Gefühl, dass sie sich jetzt voll und ganz auf mich und das was ich ihr anweise verlassen müsse. Irgendwann war ich bei ihr und konnte sie in diesem Moment sogar auf den Arm nehmen…ich glaube wir waren Beide froh wie nie, dass wir diese Situation der Unsicherheit und Angst gemeistert hatten! Meggie konnte dies nur durch den sicheren Rahmen, den sie als Orientierung bereits gelernt hatte.

Ich zeige dir, was in dir steckt

Nachdem Ihr Hund begonnen hat, Vertrauen zu Ihnen aufzubauen, sollten Sie ihm zeigen, dass er kein „Angsthase“ ist, sondern der Welt mutigster Hund, der alles erreichen kann! Seien Sie stolz, wenn er in der Hundeschule durch den Stofftunnel gesaust ist, die Rampe bezwungen hat oder fast ohne Angst durch eine Gruppe Menschen laufen konnte. Mit Ihnen an seiner Seite, der/die Sie so sehr an ihn glauben, wird er es schaffen und Sie werden mit einem Hund die Hundeschule verlassen, der innerlich gewachsen ist!

Ich erinnere mich an diesen Moment mit meiner kleinen Hündin Beckyna. Mit einer Schulterhöhe von 28 cm kamen wir zum Agility, nach Hause fuhr ich mit einer Hündin, die mindestens einen glücklichen Meter groß war! Sie hatte den Laufsteg mit mir an ihrer Seite bezwungen. Ich hatte sie gehalten, ihr Sicherheit gegeben und motiviert. Gemeinsam haben wir es geschafft! Für einen Angsthund kostet dieses Stehen auf enormer Höhe ohne schnelle Rückzugsmöglichkeit sehr viel Überwindung und ich war unendlich stolz auf die mutigste Hündin der Welt!

Ich respektiere dich und dein Tempo 

Nehmen Sie es niemals persönlich, wenn Ihr Hund nicht gleich Zutrauen zu Ihnen hat. Seine Erfahrungen haben ihn gelehrt, kein Vorschussvertrauen auszusprechen. Lassen Sie Ihrem Hund Zeit. Das Vertrauen eines Tieres zu gewinnen kann ein unendlich wundervoller Weg sein, wenn Sie bereit sind, sich über kleine Fortschritte zu freuen und Ihre Erwartungen und Ihr Tempo hinter die Bedürfnisse Ihres Hundes stellen! Bei einem Hund, der absolut voll Angst ist, kann es ein riesiger Fortschritt sein, dass das Leckerchen, das Sie im Vorbeigehen vorsichtig in seine Richtung warfen, gefressen wurde. Oder der erste Moment, wenn Ihr Hund es schafft, das angebotene Leckerchen direkt aus der Hand zu nehmen. Das sind die kleinen Momente, die wirklich groß sind!!!!

Podenca Hermine….als sie als Pflegehündin zu uns kam, war sie überzeugt, in dieser Welt keinerlei Rechte zu haben, nicht mal das Recht aufrecht zu stehen. Sie robbte über den Boden, sah man sie an, urinierte sie, allein der menschliche Blick wurde schon als Bedrohung wahr genommen! Als sie das erste Mal in meiner Gegenwart aufstand, liefen mir die Tränen runter, es war ein wunderbarer Augenblick!

Ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht

Ein Hund, der Angst vor Menschen zeigt, darf die ersten MONATE (!!!) nach Adoption auf keinen Fall abgeleint werden!! Außerdem müssen Sie Ihren Hund mit zwei Leinen führen. Eine befestigt am Halsband, die andere am Geschirr. Eine der beiden befestigen Sie mit dem Karabiner sicherheitshalber an ihrem Gürtel, damit auch in chaotischen Situationen nicht passieren kann!!! Sie denken nun vielleicht, Ihnen könne es niemals passieren, dass Sie die Leine aus Versehen fallen lassen!! Vergessen Sie es, das passiert jedem und vor allem in Ausnahmesituation, in die wir alle plötzlich geraten können!! Ihr Hund ist erst dann ableinbar, wenn er eine sichere Bindung zu Ihnen aufgebaut hat und Sie sicher sagen können, dass er auch bei plötzlichem Erschrecken zu Ihnen kommen wird wenn Sie rufen und nicht blindlings davon rast. Für Notfälle sollte Ihr Hund einen Adressanhänger am Geschirr und einen am Halsband tragen. Bei Angsthunden empfehle ich, ein qualitativ sehr hochwertiges Leuchthalsband auch tagsüber zu benutzen! Die Registrierung bei TASSO sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Einem Hund in einer unserer Pflegestellen hat dies das Leben gerettet! Sie war im Park, wollte mit einem Hund spielen, der ihr Sicherheit gab. Die Pflegemama leinte ab. Dann ein lautes Geräusch in der Nähe, die Hündin erschrak und raste los. Sie raste auf die Strasse, wo sie von einem Auto erfasst wurde, raste verletzt weiter in einen nahen Wald. Es war Winter und wir alle voller Angst, ob sie rechtzeitig gefunden werden würde. Kurz vor Mitternacht sah die Pflegemama bei der Suche den Schein des Leuchthalsbandes in einem Gebüsch, in das sich die verletzte Hündin gelegt hatte. Sofort konnte sie in die nächste Klink gefahren und damit gerettet werden!

Ich übernehme für dich Verantwortung

Meiden Sie Hundeschulen, in denen Ihr ängstlicher Hund nicht sachte an Dinge heran geführt wird, sondern nach dem Motto gehandelt wird „Da muss er jetzt durch und notfalls mit Gewalt“ und flugs mit voller Gewalt durch einen Stofftunnel gezogen wird. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihren Hund, indem Sie sofort gehen!!! Suchen Sie sich eine Tierarztpraxis, in der man sich Zeit für Ihren Hund nimmt und er mit Freundlichkeit und Respekt behandelt wird. Ist dies nicht der Fall, setzen Sie Ihren Hund dieser Situation nicht aus, fahren Sie lieber ein paar Kilometer weiter in eine andere Praxis!

Ich informiere mich um dir helfen zu können

Informieren Sie sich auch selbst durch gute Literatur, um Ihren Hund besser zu verstehen und sich im Umgang mit ihm zu verbessern. Man lernt nie aus! Warum sich das Leben schwer machen, wenn es Menschen gibt, die Ihnen und Ihrem Hund unter die Arme greifen können? Holen Sie sich Unterstützung durch eine gute Hundetrainerin/einen guten Hundetrainer, die völlig gewaltfrei arbeiten und Erfahrung im Umgang mit Angsthunden haben. Auch der Einsatz von Bachblüten kann Ihrem Hund helfen. Auch hierfür gibt es Fachleute, die Sie gerne beraten.

Mein erster Angsthund, den ich in Pflege nahm, hieß Tino. Ein brauner Mischlingsrüde, der sich vor fremden Menschen sehr fürchtete und deshalb lieber nachts Gassi ging, wenn wir kaum wen trafen.  Kurz vor seiner Ankunft hatte ich ein Seminar zum Thema „Beschwichtigungssignale“ besucht. Es war unglaublich, wie schell ich ihn verstehen konnte und er mich, wie schnell wir eine Ebene aufbauen konnten, auf der wir miteinander weiter arbeiten konnten. Kein Zeichen von Hundeflüsterei oder einer außergewöhnlicher Kompetenz, schlichtweg war es das Wissen über diese Signale der Hundesprache, das ich wenige Tage zuvor auf einem Wochenendeseminar kennen gelernt hatte!

Ich widme dieses Blatt meinen ehemaligen Pflegehunden… Tino, einem braunen Mischlingsrüden, der vor Menschen so große Angst hatte, dass er anfangs nur nachts raus gehen wollte, Nelo, einem kleinen Dackelmix, der bisher das Leben mit Menschen nie gekannt hatte und als Straßenhund gelebt hatte, Podenca Meggie, die in einem Wald gelebt hatte und keinerlei Sozialisation mit Menschen gekannt hatte,, Podenca Hermine, die so unendlich Angst vor Menschen hatte, dass von schweren Misshandlungen ausgegangen werden muss. Und meiner kleinen Bischonmix-Hündin Beckyna, die sehr schlecht versorgt mit vielen anderen Hunden in einem Mini-Appartement gelebt hatte und die es nur mit viel Mühe schaffte, wenigen Menschen ihr Herz zu öffnen, diesen aber dafür bedingungslos! Ich wünsche Ihnen und Ihrem Vierbeiner einen wunderbaren gemeinsamen Weg!